25. August 2000

TIBET INFORMATION NETWORK

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Religiöse Repression in Lhasa verschärft

Neuerdings gab es weitere Ausweisungen von Mönchen aus dem Haupttempel von Lhasa, dem Jokhang, während Regierungsangestellte und Kader angewiesen wurden, ihre Kinder aus den Klöstern der Stadt zurückzunehmen. Jüngsten Berichten aus Lhasa zufolge wurden tibetische Kader auch davor gewarnt, an religiösen Praktiken teilzunehmen, weil ihre Kinder sonst von der Schule fliegen würden. Im Zuge dieser drastischen Kampagne gegen die Religion und den Dalai Lama werden in Lhasa und den Außenbezirken der Stadt Kontrollen nach religiösen Bildern und Dalai Lama Photos von Haus zu Haus vorgenommen. Es heißt, daß einige religiöse Gegenstände und Bilder in den Yarlung Tsangpo geworfen wurden, um den Bürgern Lhasas ein Exempel zu statuieren.

Die religiöse Verfolgung betrifft nicht nur Kader oder Parteimitglieder, sondern auch ihre Familien. Mindestens 17 Kinder wurden in den letzten Wochen von ihren Eltern in Lhasa auf die Warnungen der Behörden hin, daß ihre Arbeitsplätze und Gehälter bedroht seien, falls ihre Kinder im Exil blieben, aus Schulen in Indien abgezogen. Eine Hotline wurde vom Staat eingerichtet, damit die Leute ihre Mitbürger, die religiös aktiv sind, denunzieren können, und Lehrer wurden angewiesen, ihre Schüler vermehrt zum Atheismus zu erziehen.

Diese immer härter werdenden Maßnahmen gegen religiöse Ausübung in der Autonomen Region Tibet (TAR) sind wohl eine Folge der unter regionalen Politikern und hochgestellten Parteifunktionären in Peking herrschenden Sorge über den mangelnden Erfolg der Religions- und Sicherheitspolitik in Tibet, besonders auf die Flucht des 17. Karmapa ins Exil im Januar hin. Der Weggang des heute 15-jährigen Karmapa, den die Partei sich als eine "patriotische" Figur zur Legitimierung ihrer Religionspolitik in Tibet heranziehen wollte, brachte Peking in ernste Verlegenheit, und man hörte, daß deswegen sogar der Parteisekretär Tibets Chen Kuiyuan in seiner Position in Frage gestellt wurde. Als der ranghöchste Parteipolitiker in Tibet ist Chen Kuiyuan für die Durchsetzung der neuen harten Politik in der TAR verantwortlich, obwohl er sich in den letzten Jahren nur wenig in deren Hauptstadt aufhielt. Chen Kuiyuan war, wie verlautet, bei einem wichtigen Meeting im April in Chengdu, der Provinzhauptstadt Sichuans, anwesend, wo festgestellt wurde, Religion sei das "Hauptelement der Zersetzung" in der tibetischen Gesellschaft, weil sie "anti-chinesische Gefühle" nährt. Dem in Dharamsala ansässigen TCHRD zufolge war die Flucht des Karmapa ein weiteres Thema bei diesem Meeting, bei dem Vertreter der regionalen politischen Führung zusammenkamen.

Die in Chengdu versammelten Funktionäre konzipierten auch die Pläne für die Abschaffung der Feiern zum Geburtstag des Dalai Lama im Juli, sowie Schritte, um zu verhindern, daß Tibeter das 15-tägige buddhistische Sagadawa-Fest im Juni begehen. Die Behörden in der TAR rechtfertigen ihren Standpunkt zur Religion damit, daß "abergläubische" Überzeugungen die wirtschaftliche Entwicklung in der Region behindern würden. Ein Artikel auf der ersten Seite von Tibet Daily vom 18. Juni brachte ein Exempel davon, wie sich buddhistische Anbetung negativ auf die landwirtschaftliche Produktion der Gegend auswirkt. In dem Leitartikel heißt es, daß tibetische Bauern und Nomaden in Kreis Toelung Dechen in der Vergangenheit während der Sagadawa Feiern ihre Felder und ihr Vieh vernachlässigten, daß sie etwa keine Insekten, die ihre Ernten bedrohten, töteten oder in dieser Zeit kein Vieh schlachteten. In diesem Jahr hätten die Bauern und Nomaden "dank der intensiven Atheismus- und Materialismus-Kampagnen jedoch ihren Geist befreit und ihre Ideologie revolutioniert".

Eltern werden angewiesen, ihre Kinder atheistisch zu erziehen

Eine weitere Ankündigung in Tibet Daily vom 4. Juli wies Eltern und Lehrer an, die Erziehung der Kinder auf dem Gebiet des "Atheismus und Materialismus" zu intensivieren. "Junge Leute sollten Unterricht in Atheismus erhalten, um sie von dem schlechten Einfluß der Religion zu befreien", heißt es in dem Artikel, der warnt, daß Parteimitglieder, Kader und Lehrer, falls sie weiterhin "abergläubischen Tätigkeiten" nachgehen, "gemäß den Parteibestimmungen zu Geldbußen herangezogen werden". Inoffiziellen Berichten zufolge wurden in einigen Fällen schon Geldbußen bis zu mehreren hundert Yuan über diejenigen verhängt, in deren Häuser Photos des Dalai Lama gefunden wurden. Weiter heißt es: "In ernsten Fällen gehen ihre Kinder des Rechts auf Schulbesuch verlustig". Der von der Erziehungsaufsichtsbehörde und dem Disziplinarkomitee der Sportabteilung der Stadtgemeinde Lhasa in Tibet Daily veröffentlichte Artikel gibt eine Telephonnummer an, wo die Leser ihre Mitbürger anzeigen können, die sie bei religiösen Aktivitäten vorfinden.

Die "Haus um Haus Durchsuchung" nach Schreinen und Dalai Lama Bildern begann im Juli in den Wohnungen von Parteimitgliedern und "Modell-Kadern" und erstreckt sich inzwischen auf alle 7 Unterbezirke der Region Lhasa sowie die abgelegenen Bauern und Nomaden Gemeinden, wie aus inoffiziellen Quellen hervorgeht. Zirkulare wurden in Umlauf gesetzt, in denen die Leute gewarnt werden, daß spezielle Abordnungen von Kadern aus Dorf-, Gemeinde- und Kreis-Regierungsstellen kommen und ihre Häuser durchsuchen würden. In einem Bericht heißt es, daß religiöse Darstellungen und Photos, die bei verschiedenen Familien konfisziert wurden, von einigen Inspektoren in den Tsangpo Fluß geworfen wurden. "Es ist wie eine zweite Kulturrevolution", meinte ein Tibeter aus Lhasa TIN gegenüber.

Es gibt auch Beweise für einen neuen Versuch der Behörden, die Belegschaft von Mönchen und Nonnen in den Klöstern der Region Lhasa zu reduzieren. 30 Mönche wurden, wie berichtet, im Juli auf eine von der Stadtverwaltung, dem Büro für religiöse Angelegenheiten der Nationalitäten, dem Städtischen Büro für Öffentliche Sicherheit und dem Demokratischen Verwaltungskomitee des Klosters unterzeichnete Verordnung hin aus dem Jokhang Tempel hinausgeworfen. Die offizielle Quote für Mönche im Jokhang ist auf 120 festgesetzt, wobei es verboten ist, daß Mönche, welche das Kloster verlassen, durch andere ersetzt werden. Tibetischen Regierungsbediensteten wurde erklärt, daß sie ihre Kinder aus den Klöstern, einschließlich des Jokhang, nach Hause zurückholen müßten, andernfalls verlieren sie ihren Arbeitsplatz.

"Die Politik der Entvölkerung der Klöster durch die Ausweisung von Mönchen und Nonnen, mit nur ein paar wenigen, die zum Betrieb der Klöster dagelassen werden, betrifft nicht nur diejenigen, die schon ausgewiesen wurden, sondern ist ein ernster Grund zur Besorgnis geworden für die übriggebliebenen Mönche und Nonnen, ebenso wie für alle religiös gesinnten Bürger überhaupt", meinte eine nun im Exil befindliche Quelle TIN gegenüber.

Neue Propaganda-Aktion zur Bekämpfung der "feindlichen" Medienberichte aus dem Westen

Die politische Führung der TAR reagierte in den letzten Monaten besonders empfindlich auf Berichte über die fortgesetzte religiöse Repression in Tibet in westlichen Medien. TIN berichtete am 7. Juli, daß die TAR Behörden Regierungsangestellte mit Entlassung, Schulkinder mit Ausweisung und Pensionäre mit dem Verlust ihrer Pensionen bedrohten, falls sie zum buddhistischen Sagadawa-Fest im Juni den "lingkor" (den traditionelle Pilgerrundweg um die Heiligtümer Lhasas) machten.

Ein Artikel in der Hongkong Zeitung Wen Wei Po vom 24. Juli focht diese Berichte an. Es heißt dort unter Zitierung einer namentlich nicht genannten "zuständigen verantwortlichen Person" aus der TAR: "Eine sehr festliche Atmosphäre herrschte dieses Jahr in Lhasa, als das Sagadawa gefeiert wurde. Die Atmosphäre des Festes unterschied sich nicht von der vergangener Jahre. Tibeter versammelten sich ihren traditionellen Bräuchen gemäß massenhaft um den Drachen-König-See. Einige ehrten Buddha durch Drehen ihrer Gebetsmühlen. Einige rezitierten buddhistischen Schriften. Andere verbrannten Räucherwerk und machten Niederwerfungen. Wieder andere breiteten ihre Sitzmatten aus oder stellten Zelte am See auf. Die Familien hatten ein fröhliches Zusammensein mit Singen, Schwatzen und Lachen. Nur Leute, welche die Lage nicht begreifen, schenken gewissen Gerüchten über 'Einmischung' und 'Restriktion' Glauben".

Der TAR Vertreter fügte hinzu: "Der Staat respektiert und schützt die Freiheiten der Bürger, normaler religiöser Aktivität nachzugehen und die größeren religiösen und Volksfeste zu feiern. Aber wie jedes andere Land verlangen wir von jenen, die bei religiösen Dingen mitmachen, daß sie keine Störung für die Verkehrsregelung, die Volksgesundheit oder die soziale Ordnung in der Stadt darstellen... Wir sind gegen alle Versuche, das Land nach ethnischen Linien zu spalten, sowie gegen jeglichen religiösen Fanatismus, um das Volk zu teilen, das Land zu spalten oder die Eintracht unter den ethnischen Gruppen zu beeinträchtigen".

Die Chinesen reagierten auch auf die internationale Kontroverse wegen des Ausschlusses des Dalai Lama von dem Millennium Friedensgipfel der UNO, der am Montag in New York beginnt. Es hieß, daß der Ausschluß des Dalai Lamas von dem Gipfel, der über 1.000 religiöse Oberhäupter aus aller Welt zusammenführen wird, wegen der einflußreichen Stellung Chinas in der UNO als einem Mitglied des Sicherheitsrates erfolgte. Bei einem Meeting über religiöse Fragen, das letzte Woche vor der Abreise einer chinesischen Delegation zu dem Gipfel in Peking stattfand, verteidigte der tibetische Lama Jamyang Shepa (in chinesischen Nachrichten als Jamyang Losang Jigme Tudain Qoigyi Nyima bezeichnet) die chinesischen Ansprüche auf Religionsfreiheit in Tibet, wie es in einem Bericht der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua am 16. August heißt. Jamyang Shepa, ein Vizepräsident der Buddhistischen Vereinigung Chinas und Abt des Klosters Labrang in der Provinz Gansu, kritisierte jene Leute, die versuchen, die wirtschaftliche Entwicklung in der Region "unter dem Vorwand der Erhaltung nationaler Charakteristiken und der Beschützung der religiösen Kultur" zu behindern: "Das tibetische kulturelle Erbe und die Freiheit des religiösen Glaubens können durch den Fortschritt der Wirtschaft und die Verbesserung des Lebensstandards der Leute in der Region besser bewahrt werden" (Xinhua, 16. August).

Der Parteisekretär der TAR Chen Kuiyuan bezog sich ebenfalls auf die in der ausländischen Presse erschienenen Berichte über religiöse Belange in Tibet, als er anfangs des Monats sagte, es gebe "in der internationalen Gemeinschaft gewisse Mißverständnisses hinsichtlich Tibet", die "der böswilligen Entstellung durch feindliche und spalterische Kräfte" zuzuschreiben seien. Chen Kuiyuan, der am 2. August bei einer Sitzung in Lhasa mit dem zu Besuch weilenden Chef des Informationsbüros des Staatsrates Zhao Qizheng sprach, meinte: "Die Handhabung der richtigen Propaganda über die Entwicklungen und Veränderungen, die in dem sozialistischen neuen Tibet stattfanden und darüber, wie das tibetische Volk nun den Pfad der sozialistischen Modernisierung zusammen mit den Angehörigen der anderen ethnischen Gruppen im Land beschreitet, ist eine ernstzunehmende und gleichzeitig ruhmvolle Aufgabe". Zhao Qizheng schloß, daß es nötig sei, die Propaganda im Ausland über Tibet zu intensivieren, um diesen "Mißverständnissen" entgegenzutreten, die daher kommen, daß eine "kleine Zahl von westlichen Ländern die Dalai Clique unterstütze und aus dem Nichts die 'Tibet-Frage' fabriziert habe" (Zhongguo Xinwen She, 4. August).

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